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Der Vorschlag für die "Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und die Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten"
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Peter Pietsch, Mering
Am 15.12.2005 hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften einen Verordnungsvorschlag für eine umfassende Regelung des Unterhaltsrecht im EU-Raum vorgelegt, mit dem eine Vereinheitlichung des Verfahrens im gesamten EU-Raum vorgesehen ist und ein Unterhaltstitel aus einem EU-Staat keines Exequaturverfahrens mehr im Vollstreckungsstaat bedarf. Sie soll bereits zum 1. Januar 2008 in Kraft treten und auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts die bisher anwendbaren EU-Verordnungen sowie andere internationale Übereinkommen ersetzen.
Text
1. Historie
Schon im Amsterdamer Vertrag[1] ist im Art. 29[2] vorgesehen, dass in der EU ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vorgesehen ist. So hat der Europäische Rat auf seiner Sitzung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 im Bezug auf Unterhaltspflichten besondere gemeinsame Verfahrensregeln für eine vereinfachte und beschleunigte Beilegung von grenzüberschreitenden Streitfällen gefordert sowie die Abschaffung von Zwischenmaßnahmen, die bisher noch für die Anerkennung und Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedsstaat als dem vollstreckten Staat ergangenen Entscheidungen erforderlich sind.
In dem am 30. November 2000 verabschiedeten Maßnahmenprogramm wurde die Abschaffung des Exequaturverfahrens für Unterhaltsgläubiger gefordert. Es wurde gleichzeitig darauf hingewiesen, dass auf europäischer Ebene Verfahrensvorschriften festzulegen seien, die auf eine gewisse Harmonisierung des Verfahrens ausgerichtet sind und zu diesem Zweck auch die Harmonisierung der Kollisionsnormen erfolgen solle. In der Tagung des Europäischen Rates vom November 2004 wurde schließlich festgelegt, dass das vorgesehene Maßnahmenprogramm für die gegenseitige Anerkennung bis zum Jahr 2011 abgeschlossen sein soll. Deshalb hat der Rat und die Kommission auch am 02. und 03. Juni 2005 ein gemeinsames Aktionsprogramm aufgelegt, um diese konkreten Maßnahmen umzusetzen. Dazu wurde auch ein Vorschlag für die Unterhaltspflicht vorgesehen. Im Rahmen dessen hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft am 15.12.2005 den "endgültigen" Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, in der es vor allem um Folgendes geht:
- Die Vereinheitlichung von Vorschriften bei Gesetzeskollision zur Erhöhung der Rechtssicherheit.
- Die automatische Anerkennung der Vollstreckbarkeit durch Abschaffung des Exequaturverfahrens.
- Die Angleichung von Verfahrensregeln und Einführung von Instrumenten zur Erleichterung der Vollstreckung von Entscheidungen.
- Die Verstärkung der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der EU und mit Drittländern.
2. Ziele
2.1. Derzeitiger Rechtsstand
Derzeit anwendbar ist im europäischen Rechtsraum die Verordnung (EG) Nr.44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000[3] (sogenannte EuGVO, EuGVVO oder Verordnung "Brüssel I"). Sie schließt das Familienrecht in ihrem Anwendungsbereich gänzlich aus, nicht aber die Unterhaltspflichten. Unterhaltstitel aus dem Ursprungsstaat können in einem anderen EU-Staat[4] vollstreckt werden, allerdings nur nach Anerkennung und Vollstreckung durch ein sogenanntes Exequaturverfahren nach Art. 34ff dieser Verordnung.
Die Verordnung (EG) Nr.2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27. November 2003[5] (sogenannte EheVOII, oder Verordnung "Brüssel IIa") betrifft den wesentlichen Bereich des Familienrechts für Scheidungen und elterliche Sorge, schließt aber andererseits Unterhaltspflichten aus. Eine Vollstreckung von Unterhaltstiteln ist nach dieser Verordnung ausgeschlossen.
Die Verordnung (EG) Nr. 805/2004[6] des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 21.04.2004 schließt wiederum Unterhaltsforderungen mit ein. Danach können Unterhaltstitel ohne Anerkennung und Vollstreckungsverfahren sogleich in anderen EU-Staaten vollstreckt werden, allerdings nur dann, wenn es sich um eine unbestrittene Forderung im Sinne dieser Verordnung handelt.
2.2. Derzeitige Rechtsunsicherheiten
In der Verordnung (EG) 44/2001[7], mit der ein Unterhaltstitel nach einem Exequaturverfahren in einem anderen EU-Staat vollstreckt werden kann, heißt es jedoch in Artikel 71, dass Übereinkommen unberührt bleiben, denen die Mitgliedsstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder die Vollstreckung von Entscheidungen regeln. Im letzten Absatz dieses Artikels heißt es ferner: "Sind der Ursprungsmitgliedsstaat und der ersuchte Mitgliedsstaat Vertragsparteien eines Übereinkommens über ein besonderes Rechtsgebiet, welches die Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen regelt, so gelten diese Voraussetzungen". Die Unterhaltspflicht ist ein solches Rechtsgebiet. Dazu gibt es z.B. das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2. Oktober 1993[8], das im Verhältnis der Mitgliedsstaaten gilt. Dieses Haager Übereinkommen ist von der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet worden. Ist der Entscheidungsstaat und der Vollstreckungsstaat gleichzeitig Mitglied, so gelten für die Voraussetzungen zur Anerkennung und Vollstreckung die Voraussetzungen dieses Haager Übereinkommens von 1973, wenngleich für das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung die VO (EG) 44/2001 nach ihrem Art. 71 Abs. 2b anzuwenden bleibt.
In Art. 26 des Haager Übereinkommens von 1973 heißt es aber, dass sich jeder Vertragsstaat das Recht vorbehalten kann, bestimmte Entscheidungen weder anzuerkennen noch für vollstreckbar zu erklären, wie sie in Ziffern 1-3 dort aufgeführt sind. Jene EU-Mitgliedsstaaten, die dem Haager Übereinkommen von 1973 beigetreten sind, haben größtenteils einen oder mehrere Vorbehalte auf der Grundlage dieser Bestimmung geltend gemacht[9]. Als Ergebnis besteht nun im EU-Raum ein Sammelsurium verschiedenster Praktiken bei der Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen.
Schon der Begriff des "Unterhalts" unterliegt unterschiedlichen Auslegungen, was dazu führt, dass aufgrund eines Vorbehalts nach dem Haager Übereinkommen von 1973 eine Anerkennung von Entscheidungen verschiedentlich nicht erfolgen kann.
Dazu ein Beispiel:
Ein deutsches Urteil über eine einmalige Unterhaltssumme soll in Luxemburg für vollstreckbar erklärt werden. Für das Verfahren ist die Verordnung (EG) 44/2001 anzuwenden, doch für die Voraussetzungen zur Vollstreckung gilt das Haager Übereinkommen; beide Staaten sind Mitglied. Luxemburg hat aber nach Art. 26, Abs. 1, Ziff. 3 einen Vorbehalt erklärt, weil es Unterhaltsentscheidungen nur als wiederkehrende Leistungen akzeptieren will. Sofern der Unterhaltschuldner in Luxemburg gem. Art. 43 VO (EG) 44/2001 einen Rechtsbehelf einlegt, kann der Antrag auf eine luxemburgische Vollstreckungsklausel für das deutsche Urteil scheitern.
Solche bisherigen Hindernisse sollen beseitigt werden. Geändert werden soll, dass die bisherigen Verordnungen für Unterhaltspflichten gar nicht mehr anwendbar sind[10] und die neue Verordnung im Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander Vorrang vor allen anderen Übereinkommen und Verträgen hat, die von Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurden[11].
3. Die wichtigsten Neuregelungen
3.1. Zuständigkeiten
Die Regelungen über die internationale Zuständigkeit weichen nach dem Verordungsvorschlag geringfügig von den derzeitig gültigen Vorschriften nach der VO (EG) 44/2001 ab. Als allgemeine Zuständigkeit des Entscheidungsgerichts gilt der gewöhnliche Aufenthaltsort des Antragsgegners oder des Unterhaltsberechtigten; sie besteht auch, wenn in einer Sorgerechtsklage, für die eine Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) 2201/2003 gegeben ist, auch ein Unterhaltsanspruch geltend gemacht wird[12]. Darüber hinaus können die Parteien auch eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen, sofern es nicht um Unterhalt für ein minderjähriges Kind geht. Voraussetzung ist die Schriftform[13] und dass mindestens eine Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat und ein Gericht des Mitgliedsstaates entscheiden soll. Ohne anderweitiger Bestimmung ist dieses Gericht dann ausschließlich zuständig.[14]
Ungeachtet dessen kann ein Gericht in einem Mitgliedsstaat auch zuständig sein, wenn sich der Gegner auf das Verfahren rügelos einlässt[15]. Abgesehen von diesen Zuständigkeiten soll es auch eine Restzuständigkeit der Gerichte jenes Mitgliedsstaates geben, dessen Angehörige beide Parteien sind[16] oder bei Unterhaltspflicht zwischen Ehegatten der letzte gewöhnliche Aufenthalt, soweit dieser vor weniger als einem Jahr vor der Antragstellung noch bestand.[17]
3.2. Harmonisierung der Kollisionsnormen
Hat der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat, so ist dies kein Grund mehr für den Ausschluss des Gemeinschaftsrechts, auch eine Rückverweisung auf innerstaatliches Recht ist nicht mehr vorgesehen.[18]
Die Kollisionsnormen gelten nur für die Unterhaltspflichten; sie bestimmen nicht, nach welchem Recht festgestellt wird, ob ein die Unterhaltspflicht begründendes Familienverhältnis besteht. Wie bei internationalen Rechtsinstrumenten üblich, soll grundsätzlich das Recht des Landes Anwendung finden, in dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.[19] An zweiter Stelle soll das Recht des angerufenen Gerichts anwendbar sein, wenn der Unterhaltsberechtigte nach seinem Aufenthaltsrecht keinen Unterhaltsanspruch geltend machen kann oder der Unterhaltsberechtigte dies ausdrücklich beantragt, und es sich um das Recht desjenigen Staates handelt, in dem der Unterhaltspflichtige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.[20] Das soll gewährleisten, dass sich Streitfälle häufig einfacher, schneller und kostengünstiger erledigen lassen. Wenn nach diesen beiden Rechtsordnungen ein Unterhaltsanspruch nicht durchsetzbar ist, aber ansonsten ein Bezug zu einem anderen Land besteht, etwa durch gemeinsame Staatsangehörigkeit, so kann auch diese Rechtsordnung ausnahmsweise angewandt werden.[21] Das soll gewährleisten, dass ein Unterhaltsberechtigter nicht divergierenden nationalen Rechtssystemen ausgesetzt ist. Dadurch soll eine "rechtliche Berechenbarkeit" gewährleistet werden.
Soweit es nicht um die Unterhaltspflicht gegenüber Minderjährigen geht, können Parteien unter bestimmten Voraussetzungen auch eine freie Rechtswahl treffen, sei dies das Recht des angerufenen Gerichts, oder der gemeinsamen Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Vereinbarung oder das Recht des Landes des gewöhnlichen Aufenthalts einer der Parteien; bei Eheleuten auch jenes Recht, das ihre vermögensrechtlichen Verhältnisse bestimmt.[22] Damit ist die Wahlfreiheit zwar beschränkt. Es kann aber auch ein Recht sein, das nicht ein Recht eines Mitgliedsstaates ist.[23]
Das anzuwendende Recht entscheidet dann über das Vorliegen und den Umfang eines Unterhaltsanspruchs, über Verjährung und Klagefristen, eine rückwirkende Geltendmachung von Unterhalt und schließlich auch über eine etwaige Erstattung von Unterhaltszahlungen aus öffentlicher Stelle.[24]
3.3 Verfahrensvorschriften
Einstweilige und sichernde Maßnahmen können bei einem Gericht eines Mitgliedsstaates geltend gemacht werden, selbst wenn das dazu angerufene Gericht nach dem Verordnungsentwurf gar nicht zuständig ist.[25] Ansonsten muss sich ein Gericht für unzuständig erklären, wenn es an einer Zuständigkeit nach der Verordnung fehlt.[26]
Bei doppelter Rechtshängigkeit eines Unterhaltsverfahrens in verschiedenen Mitgliedsstaaten muss das später angerufene Gericht sein Verfahren aussetzen, bis feststeht, ob das zuerst angerufene Gericht zuständig ist. Sobald dies feststeht, muss sich das später angerufene Gericht für unzuständig erklären.[27] Handelt es sich hingegen um einen Verfahrensverbund[28], so kann ausgesetzt werden; erweist sich das Konnexverfahren beim zuerst angerufenen Gericht der ersten Instanz für zulässig, so kann sich das später angerufene Gericht nur auf Antrag einer Partei für unzuständig erklären.[29]
Abgesehen von einer ausdrücklich vorgesehenen elektronischen Zustellmöglichkeit[30] bestehen besondere Regelungen nur in Bezug auf eine Zustellung an einen Antragsgegner außerhalb des Entscheidungsstaates. Lässt sich ein solcher Antragsgegner nicht zur Sache ein, ist das Verfahren vor einer Säumnisentscheidung auszusetzen, bis festgestellt ist, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Antraggegner auch ordnungsgemäß zugegangen ist.[31][32] Sofern das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965[33] anwendbar ist, gilt dessen Art. 15.
Gegen eine Säumisentscheidung kann der Unterhaltschuldner binnen 20 Tagen[34] eine Überprüfung der Entscheidung beantragen. Die gilt aber nur dann, wenn entweder nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, dass der Gegner das verfahrenseinleitende Schriftstück erhalten hat oder dieser gehindert war, die Unterhaltsforderung nach den in Art. 24 Abs. 1 b genannten Gründen zu bestreiten. Eine beantragte Überprüfung bewirkt die Aussetzung aller Vollstreckungsmaßnahmen im Vollstreckungsstaat.[35] Dieses ist ein neuer Rechtsbehelf, der allein auf die genannten Gründe beschränkt bleibt und deshalb ausdrücklich kein Einspruch i.S.v § 338 ZPO ist. Ein Einspruchsverfahren ist ansonsten nicht vorgesehen und vom Verordnungsgeber aufgrund der beabsichtigten Mindestharmonisierung der Verfahrensregeln offenbar auch gar nicht gewollt, denn es soll in allen Mitgliedsstaaten ein wirksamer Rechtsschutz nach denselben Vorschriften gewährt werden. Andererseit spricht Art. 26 aber von "... ungeachtet eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs ...", woraus man den Schluss ziehen könnte, dass in Deutschland ein Einspruchsverfahren gegen ein Versäumisurteil doch nicht ausgeschlossen ist, denn der Einspruch gem. § 338 ist ein Rechtsbehelf.[36] Die Verordnung soll zukünftig in der gesamten EU das einzige Rechtsinstrument in Bezug auf Unterhaltsforderungen sein. Wie der deutsche Gesetzgeber im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 338 ff ZPO darauf reagieren wird, muss mit Interesse erwartet werden.
3.4 Vollstreckung
3.4.1 Vollstreckbarkeit ohne Exequatur
Eine der wichtigsten Neuerungen ist Art. 25 der Verordnung, wonach die in einem Mitgliedsstaat ergangenen vollstreckbaren Unterhaltsentscheidungen, ebenso wie öffentliche Urkunden und Vereinbarungen zwischen Parteien über Unterhalt[37] ohne einem weiteren Verfahren in den anderen Mitgliedsstaaten sofort vollstreckbar sind. Ungeachtet eines Rechtsbehelfs gegen die ergangene Entscheidung muss der Vollstreckungsgläubiger im EU-Vollstreckungsstaat lediglich eine Ausfertigung der Entscheidung mitsamt einer Bestätigung des Entscheidungsgerichts mittels Formblatt[38] vorlegen, um die Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates einzuleiten.[39]
Es darf weder eine Übersetzung verlangt werden, noch eine Sicherheitsleistung.[40]
Die direkte Vollstreckbarkeit von Unterhaltstiteln ist deshalb der schon bestehenden Vollstreckungsmöglichkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 805/2004[41] nachgebildet. Der deutsche Gesetzgeber wird die Ausführungsvorschriften[42] dazu ergänzen müssen.
3.4.2. Rechtsmittel
Abgesehen von Rechtsmitteln, die der Unterhaltschuldner im Entscheidungsstaat gegen eine ergangene Entscheidung einlegen kann, sind die Rechtsbehelfe des Unterhaltsschuldners im Vollstreckungsstaat nicht gegeben. Wie schon nach den bisher notwendigen Exequaturverfahren nach den einschlägigen EU-Verordnungen darf eine Entscheidung im Vollstreckungsstaat nicht in der Sache überprüft werden. Das Vollstreckungsgericht kann lediglich die Vollstreckung nach dem eigenen Recht beschränken, wenn ein Eingriff in den unpfändbaren Teil des Vermögens stattfinden würde.[43]
Die Vollstreckung kann im Vollstreckungsstaat lediglich ausgesetzt oder verweigert werden, wenn der Vollstreckungsschuldner eine der in Art. 33 genannten Gründe geltend macht. Das trifft auch zu auf den Einwand der bereits erfolgten Tilgung der Schuld. Nach deutschem Rechtsverständnis bedarf es dazu allerdings der Vollstreckungsabwehrklage. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass der deutsche Gesetzgeber entweder § 1086 ZPO[44] ergänzt oder neue Ausführungvorschriften schafft.
3.4.3 Vollstreckungshilfe durch das Ausgangsgericht
Um zu gewährleisten, dass schnell und wirksam vollstreckt wird, soll es im Interesse der Unterhaltsgläubigers möglich sein, dass Unterhaltszahlungen direkt von den Löhnen oder Gehältern bzw. Bankkonten des Unterhaltspflichtigen einbehalten werden. Eingeführt werden soll zu diesem Zweck die Möglichkeit, dass das Ausgangsgericht auf Antrag des Unterhaltsberechtigten eine automatische Pfändung beim jeweiligen Drittschuldner anordnet[45], sobald die Entscheidung dem Schuldner zugestellt ist. Eine Vorpfändung oder die Pfändung selbst ergeht durch Beschluss des Erstgerichts auf den Formblättern laut Anlage[46], wobei die Pfändungsanordnung in gleicher Weise wie die Entscheidung selbst in jedem EU-Staat sofort und ohne Exequatur vollstreckbar ist[47]. Die notwendigen Zustellungen sind vom Erstgericht von Amts wegen vorzunehmen[48]. Da vollstreckbare öffentliche Urkunden und vollstreckbare Vereinbarungen zwischen den Parteien nach der Verordnung denselben Stellenwert genießen, kann auch aus diesen Titeln eine solche Vollstreckung von Amts wegen nach Art. 38 beantragt werden. Zuständig hierfür ist das Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten.[49]
3.4.4. Hilfe durch die Zentrale Behörde
Um die Beitreibung der Unterhaltszahlungen zu erleichtern, sollen in den Mitgliedsstaaten Zentrale Behörden eingerichtet werden, die sowohl in allgemeinen Fragen als auch im Einzelfall zusammenarbeiten. Eine solche Einrichtung ist schon aus dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. 0ktober 1980[50], dem Luxemburger Europäischen Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980[51] und der Verordnung (EG) 2201/2003[52] bekannt. Diese Zentralen Behörden führen zwar kein Schattendasein, aber wegen der bisher nicht recht häufigen Anwendbarkeit dieser Vorschriften werden sie selten genug beansprucht. Nach den genannten Übereinkommen bzw. der Verordnung (EG) 2201/2003 dienen sie vor allem der Zusammenarbeit zwischen den Behörden über die Grenzen hinweg, wenngleich Betroffene sich bereits heute der Hilfe der Zentralen Behörde bedienen können.[53] In den dafür in Deutschland erlassenen Aus- und Durchführungsvorschriften in Form des IntFamRVG[54] darf sich die Zentrale Behörde bereits zu einer Aufenthaltsermittlung der Behörden bedienen[55] und eine Ausschreibung durch das Bundeskriminalamt veranlassen.[56] Wenn aber die neue Verordnung über den Unterhalt, wie sie von der Kommission vorgelegt, tatsächlich kommt, dann wird der Arbeitsanfall der in jedem Mitgliedsstaat einzurichtenden Zentralen Behörde (gegebenenfalls sogar mehrere) für Unterhaltsansprüche immens sein. Sie sollen nämlich nicht nur der Zusammenarbeit untereinander dienen, indem Informationen ausgetauscht werden, um Unterhaltspflichtige ausfindig zu machen und deren Vermögenswerte und Einkünfte zu ermitteln[57], sie dienen vor allem den Unterhaltsberechtigten selbst, wobei Aufgaben und Befugnisse der Zentralen Behörde kräftig erweitert werden:
So kann sich ein Unterhaltsberechtigter von der Zentralen Behörde vertreten lassen, sei dies im eigenen Mitgliedsstaat[58] oder im Vollstreckungsstaat[59]. Die Tätigkeit der jeweiligen Zentralen Behörde ist dabei umfassend und beinhaltet auch die Beitreibung der Unterhaltsforderung.[60]
Auch soll sich ein Unterhaltsberechtigter kostenfrei[61] über sein Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt an die Zentrale Behörde seines Heimatlandes wenden können, damit diese den Aufenthalt, die Vermögensverhältnisse sowie Arbeitgeber und Bankverbindungen des Unterhaltschuldners ermittelt[62], notwendigenfalls unter Mithilfe der einschlägigen Behörden, bis hin zum Finanzamt.[63] Das gilt nicht nur für das Inland, sondern im Sinne der Verordnung auch für eine Ermittlung in einem anderen EU-Staat. Zu diesem Zweck hat die inländische Zentrale Behörde ein Auskunftsersuchen an die ausländische Zentrale mittels vorgesehenem Formblatt[64] zu richten, wofür allenfalls Übersetzungskosten anfallen, dafür kann jedoch Prozesskostenhilfe gewährt werden. Die ermittelten Informationen werden sodann von bzw. über die inländische Zentrale Behörde an das Gericht geleitet[65], von dem das Informationsgesuch ausging, worauf dieses Gericht dann die Vollstreckungshilfen in Form der Pfändung auf Antrag des Gläubigers beschließen kann (Vergl. 3.4.3). Eine Weiterleitung der Informationen an den Unterhaltsgläubiger erfolgt nicht.[66] Der Unterhaltspflichtige ist über die Ermittlung und die Art ihrer Beschaffung zu unterrichten; was jedoch verzögert erfolgen kann, wenn die Beitreibung ansonsten erschwert würde.[67] Für die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Unterhaltspflichtigen sind überhaupt keine Voraussetzungen vorgesehen, ansonsten muss der Unterhaltsberechtigte zur Begründung seines Informationsbedürfnisse nur eine Kurzform des Titels vorlegen.[68]
4. Wertung
Der große Meilenstein zur Anerkennung und Vollstreckung innerhalb des EU-Raumes ist bis zum heutigen Tage die Verordnung (EG) 44/2001. Mit der Einführung des Europäischen Vollstreckungstitels[69] wurde der erste Schritt zur Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ohne Exequaturzwischenverfahren getan. Für die nächsten Schritte in gleicher Richtung ist die Grundlage bereits gelegt, denn der Rat der Justiz- und Innenminister hat sich bereits am 21.2.2006 über die Einführung eines "Europäischen Zahlungsbefehls"[70] und am 1.6.2006 auf eine "Verordnung über ein Europäischen Bagatellverfahren" geeinigt[71]. Beide Verordnungen sehen ebenfalls eine Vollstreckung ohne Exequatur vor. Wenn nun auch noch eine Einigung auf die Verordnung zum Unterhaltsrecht erfolgt, so wird sie kommen. Selbst wenn die von der Kommission vorgeschlagenen Form noch geringfügig geändert werden sollte, so wird auch sie den deutschen ordre-public-Mahnern weiteres Wasser auf die Mühlen bieten. Den Familiengerichten wird sie aufgrund der auferlegten Amtstätigkeiten viel zusätzliche Arbeit bescheren. Gleiches gilt für die Zentralen Behörden, die in ihrer Anzahl wohl zunehmen dürften.[72] Für Unterhaltsschuldner ist vorgeschlagene Verordnung vielleicht ein Hammerschlag. Für Unterhaltsgläubiger wird sie jedenfalls schon wegen der leichteren Durchsetzbarkeit von Titeln und der gebotenen Amtshilfe eine große Erleichterung bringen.
1 Vom 2. Oktober 1997, BGBl. 1998 II S. 387 (454), in Kraft getreten am 1. Mai 1999 gem. Bek. v. 6. April 1999 (BGBl. 1999 II S. 296).
2 Ex-Artikel K.1.
3 ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1.
4 Mit Ausnahme Dänemarks gemäß Erwägungsgründe 21 und 22 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001.
5 ABl. EG 2003, Nr. L 338, S. 1.
6 Kurzbezeichnung. EuVTVO (ABl. EG 2004, Nr. L 143, S. 15).
7 Vergl. Fn. 3.
8 BGBl. 1986 II, S. 826.
9 Von den EU-Staaten: - zu Ziffer 1: Dänemark, Finnland, Portugal, Schweden.
- zu Ziffer 2: Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland, Luxemburg, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik, Vereinigtes Königreich.
- zu Ziffer 2 a: Niederlande.
- zu Ziffer 2 b: Portugal.
- zu Ziffer 3: Estland, Italien, Luxemburg, Polen, Vereinigtes Königreich.
10 Art. 48 VO-Vorschlag (VO-V).
11 Art. 49 VO-V.
12 Art. l3 VO-V.
13 Art. 4, Abs. II VO-V, auch auf elektronischem Weg.
14 Art. 4, Abs. I VO-V.
15 Art. 5 VO-V.
16 Art. 6 a VO-V.
17 Art. 6 b VO-V.
18 Art. 19 VO-V.
19 Art. 13, Abs. 1 VO-V.
20 Art. 13, Abs. 2 a und b VO-V.
21 Art. 13, Abs. 3 VO-V.
22 Art. 14 VO-V.
23 Art. 14 i.V.m. Art 18 VO-V.
24 Art. 17 VO-V. Der IPR-Grundsatz, wonach eine Verweisung kein fremdes Prozessrecht betrifft, soll damit nicht berührt werden.
25 Art 11 VO-V.
26 Art. 11 VO-V.
27 Art. 7 VO-V.
28 Jede Konnexität von Verfahren, mit enger Beziehung, wodurch gemeinsame Verhandlung und Entscheidung nach Art 8, Abs. 3 VO-V als geboten erscheint.
29 Art. 8 VO-V.
30 Art. 22, Abs. 1 VO-V, gegen schriftliche Empfangsbestätigung.
31 Die zulässigen Zustellarten sind der Kommission von den Mitgliedsstaaten nach Art. 22 Abs. 3 VO-V binnen 6 Monaten nach Inkrafttreten der VO mitzuteilen.
32 Bei Aufenthalt des Zustellungsempfängers außerhalb der EU muss auch sichergestellt sein, dass sich der Gegner verteidigen konnte. Art 23 Abs. 2 VO-V.
33 BGBl. 1977 II, S. 1453.
34 Gerechnet ab nachgewiesener Kenntnis der Entscheidung durch den Beklagten und der Möglichkeit, darauf zu reagieren, spätestens ab Kenntnis der Vollstreckungsbehörde; Art. 24 Abs. 3 VO-V.
35 Art. 24 Abs. 3 VO-V.
36 Vergl. Zöller, Anm. 1 zu § 338 ZPO.
37 Öffentliche Urkunden und Vereinbarungen zwischen Parteien gem Art. 37 ff VO-V haben den gleichen Stellenwert.
38 Für Entscheidungen Formblatt nach Anlage I, öffentliche Urkunden oder Vereinbarungen der Parteien Formblatt nach Anlage II, auszustellen vom Gericht oder der Behörde. Dazu wird es deutsche Ausführungsbestimmungen geben.
39 Art. 27 VO-V, Vorbehaltlich der Bestimmungen der VO.
40 Art 30 VO-V, sofern sie nicht auch für Inländer im Vollstreckungsstaat verlangt werden kann.
41 Vergl. Fn. 6.
42 Für die Verordnung (EG) Nr. 805/2004: §§ 1079 ff ZPO.
43 Art. 32, Abs. 2 VO-V.
44 Bisher nur anwendbar für den europäischen Vollstreckungstitel.
45 Art. 34, Abs. 1 VO-V.
46 Anordnung monatlicher Pfändungen gem. Anlage III nebst Belehrung des Unterhaltspflichtigen gem. Anlage IIIa;
Anordnung einer vorübergehenden Kontensperrung gem. Anlage IV.
47 Art 34 i.V.m. Art. 25 u.26 VO-V.
48 Für Pfändungen gem. Art. 34 Abs. 4; für vorübergehende Kontensperrung gem. Art. 35 Abs. 4 VO-V.
49 Gem. Art. 38, Abs. 2 VO-V.
50 Kurzbezeichnung HKEntfÜ (BGBl. 1990 II, S. 207); dort Kapitel II, Art. 6 ff.
51 Kurzbezeichnung ESÜ (BGBl. 1990 II, S. 220), dort Teil I, Art. 2 ff.
52 Vergl. Fn. 5.
53 Art. 4 ESÜ; Art. 55 b u. e EheVOII; Art. 8 HKEntfÜ.
54 Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts vom 26. Januar 2005 (BGBl. I 2005, S. 162).
55 § 7, Abs. 2 IntFamRVG.
56 § 7, Abs. 3 IntFamRVG.
57 Art. 41 VO-V.
58 Art. 41, Abs. 2a VO-V.
59 Art. 41, Abs. 2b VO-V.
60 Art. 41, Abs. 2, letzter Satz.
61 Weil nach Art. 42 Abs. 5 VO-V jede Zentrale Behörde ihre eigenen Kosten trägt.
62 Art. 44, Abs. 1 a-d VO-V.
63 Die zuständigen Behörden und Stellen für Bereiche gem. Art. 44, Abs 2 a-f VO-V.
64 Anlage V.
65 Sofern keine Informationen geliefert werden können, ist dies nach Art. 45, Abs. 6 mitzuteilen; gelieferte Informationen sind nach unverzüglicher Weiterleitung nach Art. 46, Abs. 1 VO-V zu vernichten.
66 Art. 46, Abs. 2 VO-V. Die Informationen dürfen nur aufbewahrt werden, solange sie zur Beitreibung nötig sind, und sind danach zu vernichten, Art. 46, Abs. 3.VO-V.
67 Art. 47 VO-V; Verzögerung bis maximal 60 Tage.
68 Art. 45, Abs. 3 VO-V.
69 Vergl. Fn. 6.
70 Fassung des gemeinsamen Standpunkts des Rates vom 13.6.2006, Ratsdokument 7535/06 [COD].
71 Ratsdokument Nr. 9409/06; Einigung über den Text des "endgültigen Kompromisspaktes" vom 29.5.2005 gem. Ratsdokument 9886/06 [2005/0020 (COD)].
72 Nach Art. 39, Abs. 1 VO-V: "eine oder mehrere Zentrale Behörden".
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